Dieses Wochenende war Memorial-Day-Wochenende, d.h. Der Montag war ein Feiertag. Bei Square haben wir noch einen drauf gelegt und allen Mitarbeitern empfohlen 4 Tage am Stück frei zu machen—als Burnout-Profilaxe. Zuerst habe ich die Aktion noch für etwas übertrieben gehalten, aber je näher das Wochenende rückte, desto klarer wurde mir, dass auch ich längst ein paar freie Tage nötig hatte. Auch wenn die Heimarbeit ganz gut läuft und es uns ansonsten an (fast) nichts fehlt, es braucht einfach Muße und Zeit, um alles zu verarbeiten—das Coronavirus, die Reisebeschränkungen, den Umstand, dass Trump nach wie vor seine Kernwähler hinter sich hat. Und dann kamen noch ein Todesfall im Freundeskreis und ein Herzinfarkt im engeren Familienkreis dazu. Da kommt man mit dem Verarbeiten einfach nicht mehr hinterher. Es ist alles ganz schön krass.
Ich selber habe mich in den letzten Wochen beinahe manisch in die Arbeit gestürzt—nicht einmal so sehr bei Square, sondern an unserem Sprinter. Als wir vor gut 2 Monaten aus Deutschland zurück kamen, hatten wir keinen Esstisch, keinen Kühlschrank und keinen Strom im Van. Die Wände bestanden aus nackten Holzplatten. Seitdem hat sich viel getan: Wir haben unsere ersten Möbelstücke gebaut—den Tisch und einen Schrank—und den Kühlschrank sowie die Truma-Heizung eingebaut. Die Wand entlang der Fahrerseite ist komplett mit Teppich verkleidet. Letzte Woche habe ich unsere neuen Lithium-Batterien installiert und dieses Wochenende habe ich die Solarpanels, den Sicherungskasten und die ersten Verbraucher angeschlossen. Dabei gab es natürlich Höhen und Tiefen, doch ich trieb mich immer weiter voran. Als ich dann das erste Mal den Hauptschalter umgelegte, die Solarzellen dazu schaltete und dann den Kühlschrank, Fan und die USB-Ladebuchsen in Betrieb nahm, war ich nicht nur stolz, sondern auch erschöpft.
Sicher, es war ein unglaubliches Gefühl, zu sehen, wie alles auf Anhieb funktionierte. Monatelang hatte ich die Elektrik geplant und immer wieder überarbeitet. Mit Strom hatte ich es nie so, vor keinem Gewerk (außer dem Gasanschluss) hatte ich einen solchen Respekt wie vor der Elektrik. Zur Feier des Tages tranken wir ein im Sprinter gekühltes Bier, genossen den Luftzug des Fans und rechneten aus, wie lange die Batterien ohne Solar und Lichtmaschine halten würden (ca. 2 Tage, da der Kühlschrank super effizient ist). Und ich war müde. Es fiel alles von mir ab, der ganze Stress der Planung und der Verkabelung. Wieder ein Meilenstein geschafft, aber noch lange nicht fertig. So konnte es nicht weiter gehen. Pace yourself, you’re in it for the long haul!
C war schon lange aufgefallen, dass ich fast obsessiv meine Arbeiten am Sprinter verfolgte und schlug vor, am Montag einen Ausflug zu machen. Also packten wir den Kühlschrank voll, schmierten Brote und fuhren gen Highway 1 mit unserem frisch elektrifizierten Sprinter. Ziel: irgendwo am Ozean Pause machen, aufs Meer schauen und die Seele baumeln lassen. Nur 30 Minuten brauchten wir bis Pacifica, wo wir früher von San Bruno aus öfter surfen waren. Das Virus bringt nicht nur das öffentliche Leben, sondern auch den Verkehr zum erlahmen. Das ist immerhin mal ein Vorteil. Und dann schlängelten wir uns den Highway 1, eine der Traumstraßen dieser Welt hinunter. Allerdings wurde uns schnell klar, dass (a) wir nicht die Einzigen mit dieser Idee waren und (b) fast alle Parkplätze abgesperrt waren. Die Polizei war vorbereitet und wollte vermeiden, dass sich bei 28ºC die Strände füllen würden. Wie auch alle Anderen fanden wir natürlich auch ein Plätzchen, tranken Eistee und Eiskaffee am Strand und hielten die Füße ins kalte Wasser. Nach 2 Monaten im eigenen Heim gab uns der Blick auf den Ozean das Gefühl von Weite, das uns gefehlt hatte.
Irgendwann atmete ich tief durch und spürte die Entspannung. Und nicht nur das, es wurde mir auch bewusst, wie sehr die Schönheit und Lebensqualität Kaliforniens vom Draußensein abhingen. Wenn man nicht vor die Tür kann, ist es auch (beinahe) egal, wo man wohnt. In Kalifornien leben heißt eben auch das traumhafte Wetter genießen, ans Meer fahren, in den Bergen wandern und in der Wildnis zelten. Das alles hat uns schon sehr gefehlt in den letzten Wochen. Gut, dass wir heute einen kleinen Ausbruch aus dem Covid-19-Alltag geprobt haben. Sobald die ersten State-Parks und Campingplätze aufmachen, werden wir nochmal ein paar Tage frei nehmen und in die Natur fahren. Der Sprinter ist schon mal soweit.