KO aber glücklich

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Es ist Donnerstagabend und ich sitze in unserem Sprinter. Draußen zwitschern die Vögel, drinnen summt der Kühlschrank leise vor sich her. Wir sind wieder in der Wildnis—endlich. 4 Tage im Tahoe National Forest stehen uns bevor. Wir wollen wandern gehen und haben die Mountainbikes dabei. Heute Abend stehen wir am Bowman Lake, an einem künstlichen, alpinen Stausee. Unser Plätzchen ist traumhaft schön. Wir stehen direkt an einer Klippe mit Blick über beinahe den gesamten See. Die Szenerie erinnert mich etwas an den Comer See, auch wenn der Bowman Lake natürlich viel kleiner ist. Die Fahrt hierher war allerdings ein Abenteuer für sich.

Es galt erst Schotterpisten und dann schweres Gelände mit wahllos verstreuten Felsbrocken zu überwinden—Offroad pur und ohne Allradantrieb kaum zu meistern. Mehrfach begann mein Herz schneller zu schlagen, ganz besonders an einer Stelle. Es ging mit Schmackes bergauf und dann um eine Rechtskurve—rechts der Berg, links der Abgrund. Plötzlich klaffte auf der ohnehin schon bedenklichen Schotterpiste ein großes Loch, das ich nicht umfahren konnte. Irgendjemand hatte versucht, es mit groben Felsbrocken zu füllen. Einladend sah es dennoch nicht aus. Ich hatte nur die Wahl zwischen dem Abgrund und ordentlicher Schräglage beim Durchfahren des Lochs. Ich setzte zurück und nahm Anlauf. Mein Herz klopfte schnell und laut. Augen zu (natürlich nur Sprichwörtlich) und durch: Ich gab Gas und meisterte die Stelle relativ problemlos—Sprinter sei dank. Nach weiteren 40 Minuten Schotterpiste hatten wir dann unser Plätzchen gefunden. Einmal steil bergab, mehrere Felsbrocken umschifft und dann haarscharf zwischen Baum und Felsen vorbei eingeparkt. Hier würden wir erstmal bleiben.

Am nächsten Tag machten wir eine Mountainbiketour bis ans Ende der Schotterpiste. Dabei fiel uns auch, wie voll es am See war. Während unser Plätzchen etwas Abseits war, stapelten sich die Menschen, Autos und Zelte am Ufer. Von Covid-19 und Abstandhalten keine Spur. Dafür gab es ausreichend Motocross-Maschinen, Quads und Rednecks. Warum denn laufen oder mit dem Mountainbike fahren, wenn man auch mit ordentlich Benzin und Tempo durch den Wald heizen kann. Wir hatten ursprünglich vor, mit dem Rad den Stausee zu überqueren und einen Wanderweg zu anderen Bergseen zu erkunden, kamen aber nicht auf die andere Seite des Ufers. Egal, es tat gut, sich endlich mal wieder zu bewegen und auszupumpen. Abends wurde uns dann noch etwas „Hafenkino“ geboten. Eine Gruppe 20-jähriger fuhr mit einem mordsmäßig getunten Jeep Cherokee nicht nur auf unseren Platz vor, sondern direkt auf den Fels neben uns. Ohne mit der Wimper zu zucken, und offensichtlich mit ordentlich Offroad-Erfahrung, lenkte der Typ sein Auto einfach direkt auf den Berg zu und kletterte dann gute 6-8 Meter über den glatten Fels nach oben. Dort angekommen wurde beschlossen, auf der Kuppe ein Zelt zu errichten. Es dauerte aber nicht lange, da wurden den vier Jungs und Mädels klar, dass dort oben ein fieser Wind wehte. Und so wendeten sie auf der Kuppe (!!!), fuhren hinab und zogen von dannen. Bei uns gab es nach dieser Performance Gnocchi mit Spinat-Pesto-Sahnesoße, die wir im Auto essen mussten, da es plötzlich anfing wie aus Eimern zu regnen. Das Thermometer sank ins bodenlose. Als wir während einer kurzen Regenpause Zähne putzten, kondensierte unser Atem. Gut, dass ich am Abend vorher noch die neuen Deckenspots angeschlossen hatte, so konnten wir drinnen noch etwas sitzen und lesen. Die Nacht war dann kalt, trotz langer Schlafanzüge, Mützen und Socken. So kann es gehen in den Bergen.

Nach zwei Tagen am Bowman Lake stand uns der Sinn nach einem Ortswechsel. Wir hangelten uns auf der Schotterpiste zurück und wurden von einem Asiaten kurz vor der Engstelle angehalten. Er habe einen Van wie unseren, ob denn die Straße so schlecht bleiben würde. Wir verneinten, empfahlen aber 4-Wheel-Drive. Nein, habe er nicht, entgegnete der Herr. Egal, ich wollte weg hier, bog um die Kurve und sah an der Engstelle nicht nur seinen alten Ford Van (von wegen einen Van wie unseren), sondern auch ein dutzend Quads aufgereiht stehen. Stau, natürlich an der blödesten Stelle. Dafür hatte jemand das Loch mit Felsbrocken aufgefüllt, so dass es nicht mehr so schlimm aussah. Ich wollte weg hier, gab Gummi und fuhr haarscharf unter dem Staunen der Passanten an den Quads vorbei. Eine gute Stunde später fanden wir ein ruhiges Plätzchen für die Nacht am Lindsay Lake und machten noch eine Wanderung zum Upper Rock Lake. Der Feldweg war nicht besonders schön, aber wenig begangen, so dass wir unsere Ruhe hatten. Das Highlight war ein Plumpsklo, das völlig überraschend an einer Feuerstelle stand. So blieb uns diese Nacht der Spatengang erspart. Diese Nacht war noch kälter als die letzte, da sie Sternenklar war. Wir kauerten uns zusammen und waren froh, dass wir unseren Sprinter so gut isoliert hatten. Draußen war es garantiert nur knapp über 0˚C in der Nacht.

Am Sonntag machten wir noch eine wunderschöne Wanderung zum Penner Lake. Nach 3 Tagen in der Wildnis fühlte ich mich, trotz einmaliger Campingdusche, auch etwas so. Auf dem Parkplatz des Trails war die Hölle los, überall Menschen. Auf dem Trail ging es dann. Wir kletterten an mehreren wunderbaren Bergseen vorbei hinauf zum Penner Lake. Im Gegensatz zu den Vortagen war es heute warm und sonnig. Am Penner Lake wehte allerdings eine stramme Brise, die mich dann doch davon abhielt, baden zu gehen. Schade, denn der See war einladend und wunderbar klar. Dennoch geht irgendwann jeder (Kurz-)Urlaub vorbei. Wir stiegen ab, setzten uns ins Auto und traten die Heimreise an. Nach 3 Tagen Wandern und Mountainbiken gönnten wir uns einen Burger bei In-N-Out.

4 Tage Wildnis, das war einfach toll. Und unser Sprinter hat ebenfalls restlos überzeugt. Obwohl wir den Kühlschrank tagsüber pausenlos in Betrieb hatten und unsere iPhones und meine Apple Watch jede Nacht am Strom hatten, schafften wir es nie, die Batterien auf unter 98% zu entladen. Schon wenige Sonnenstrahlen reichten aus, um sie jeden Morgen wieder voll zu machen. Am besten war allerdings die Abstinenz von Nachrichten und jeglichen Medien. Wir träumten nachts teils wild und hatten offensichtlich jetzt Zeit, endlich mal etwas zu verarbeiten. Zusammen mit dem sportlichen Aktivitäten machte uns das glücklich. KO, aber glücklich.

Soziale Unruhen

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Vor zwei Wochen ist ein Schwarzer durch Polizeigewalt zu Tode gekommen—wieder einmal. Aber dieses Mal ist alles anders. Die Wut und Frustration über Pandemie, Arbeitslosigkeit und die mangelnde Empathie des Präsidenten entlud sich nicht nur in friedlichen Protesten, sondern Plünderungen und gewalttätigen Auseinandersetzungen mit den Ordnungskräften. Und wir sind irgendwie mittendrin. In Berkeley war die Lage zwar relativ ruhig, die Auswirkungen der Gewalt waren dennoch überall sichtbar. Mehrere Läden, unter anderem unser Trader Joe’s, waren komplett verrammelt, die Schaufenster durch Sperrholzplatten geschützt. Man richtete sich auf Plünderungen ein, trotz Ausgangssperre. In Oakland und Emeryville sah die Lage dann deutlich düsterer aus. Dort wurden mehrere Geschäfte ausgeräumt und verwüstet—darunter auch zahlreiche Autohäuser. Selbst das Square-Büro in Oakland wurde nicht verschont, wobei ich vermute, dass es bei Glasschäden im Erdgeschoss geblieben ist.

Die Menschen haben die Schnauze voll, vor allem die Schwarzen. Kein Wunder. Wie muss es sich anfühlen, wenn man 2,5 Mal häufiger als Weiße damit rechnen muss, von der Polizei getötet zu werden? Wie muss es sich anfühlen, wenn man Angst um seine Söhne haben muss, wenn sie unterwegs sind—nur wegen ihrer Hautfarbe? Wie muss es sich anfühlen, wenn man mit seinen 7, 8 oder 9-jährigen Kindern Gespräche darüber führen muss, wie sie sich zu verhalten haben, wenn sie mit der Polizei in Berührung kommen, damit sie am Leben bleiben? Sicher, Rassismus ist kein neues Problem—nicht in den USA und auch nicht im Rest der Welt. Aber zu Krisenzeiten, in einer Welt, die polarisiert ist wie nie zuvor, kommen Probleme, die unsere Gesellschafteam liebsten als gelöst abtut, wieder ans Tageslicht.

Für mich als Führungskraft bei Square stellte sich dann schnell die Frage, wie ich persönlich mit der Tötung George Floyds und den Protesten umgehen sollte. Ich schreibe jede Woche eine Top-of-Minds-Email an mein Team. Diese Email geht dann in Kopie an die gesamte Firma. Es ist mir sehr bewusst, dass ich mir als weißer Mann nicht vorstellen kann, was meine schwarzen Kollegen gerade durchmachen. Außerdem bin ich eben als Deutscher sehr anders sozialisiert als meine amerikanischen Kollegen, z.B. was freie Meinungsäußerung angeht. Es ist also allzu leicht sich im Ton zu vergreifen, in einer Email, die an die gesamte Firma geht. Nichts sagen und so tun, als würden meine Gedanken um Lappalien kreisen, während Oakland und San Francisco brennen—das ging aber eben auch nicht. Am Ende nahm ich meinen Mut zusammen, holte mir von unserer Personalabteilung Rat ein und bekannte dann meine Solidarität mit unseren schwarzen Mitbürgern. Es reicht. Die Morde durch die Polizei müssen aufhören. Rassismus hat keinen Platz in unserer Gesellschaft.

Dementsprechend waren wir dieses Wochenende dann auch in Berkeley demonstrieren—friedlich. Wir hatten Schilder gebastelt und marschierten mit Tausenden anderer Menschen, schwarz und weiß, asiatisch und indisch, mexikanisch und wer-weiß-was-auch-immer den Martin Luther King Jr Way hinunter. Black Lives Matter, enough is enough. Vielleicht ist es nur Wunschdenken, aber man könnte denken, es tut sich etwas in diesem Land. Nach der Corona-Krise vergeigt Trump jetzt auch seine zweite Herausforderung, indem er es an Führung vermissen lässt und weiter Öl ins Feuer gießt, anstatt das Land zu einen. Mittlerweile wird er von führenden Militärs kritisiert, seine Zustimmungswerte fallen weiter und Biden führt angeblich mit 11% in den Prognosen zur Präsidentschaftswahl. Eigentlich kann Trump jetzt nur noch eine schnelle Erholung der Wirtschaft retten. Dennoch, unterschätzen darf man ihn nicht: Totgesagte leben bekanntlich länger. Die nächsten 5 Monate bis zur Wahl werden spannend und hässlich bleiben.

Wir lenken uns weiterhin mit unserem Sprinterprojekt ab. Letzte Woche haben wir die Teppicharbeiten abgeschlossen, dieses Wochenende haben wir den ersten Teil der Decke eingebaut. Der Van sieht jetzt schon richtig wohnlich und gemütlich aus. Wir sind zufrieden und überrascht, wie gut uns Alles gelungen ist. Aber wir sind auch müde. Die vielen Stunden Arbeit machen sich bemerkbar. Und auch wenn wir schon viel geschafft haben, wir haben immer noch viel Arbeit vor uns. Daher machen wir nächste Woche nochmal ein langes Wochenende und fahren in die Berge. Einzelne National-Forests sind wieder für Camping geöffnet. Zum Glück sind wir mit unserem Van nicht auf Campingplätze angewiesen. Wir werden uns also ein nettes Plätzchen suchen und dann 4 Tage nur wandern, mountainbiken und in der Natur sein. Vielleicht kommen wir so wieder besser klar, mit der Verrücktheit dieser Welt.