Lokal einkaufen

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Wir sind jetzt seit vier Tagen wieder in Kalifornien und haben uns mit der Ausgangssperre gut arrangiert. Der Kühlschrank ist voll, wir müssen weder verhungern, noch rationieren. Stattdessen versuchen wir uns etwas vom Dauerthema COVID-19 abzulenken. Während ich diese Zeilen schreibe, macht C eine Happy-Hour-Videokonferenz mit ihren ehemaligen Kollegen von Siemens. Man trifft sich auf ein Bier—virtuell eben. Zoom macht es möglich, Kneipenhintergrundbild inklusive.

Ansonsten haben wir angefangen, uns damit auseinander zu setzen, wie wir unseren Lieblingsläden helfen können. Bars, Restaurants, fast alle Läden sind zu—das bedeutet Existenzängste bei Kleinunternehmern. Not macht aber auch im Jahre 2020 immer noch erfinderisch. Unsere Lieblingsbrauerei verkauft jetzt Bier per Vorbestellung im Internet. Man bestellt und fährt dann zur Brauerei, wo man die Bestellung (in 1l Dosen) in Empfang nimmt. Das ist erlaubt. Natürlich können so die Umsatzeinbußen, die durch den Verlust des Ausschankgeschäfts entstehen, nicht ersetzt werden. Aber schließen muss die Brauerei eben auch nicht. Das macht Hoffnung. Und Hoffnung treibt die Menschen dazu an, weiter zu machen.

Ähnlich sieht es bei unserem Weinhändler in Oakland aus. Dort nimmt man es mit dem Verkaufsverbot nicht so genau—der Laden war geöffnet. Im Grunde genommen gilt aber dasselbe Prinzip: Wein per Weinabo oder Telefon bestellen, im Internet bezahlen und dann vor Ort abholen. Interaktionen mit dem Verkäufer entfallen damit fast vollständig, womit auch der Anordnung, Kontakte zu meiden genüge getan wäre. Auch hier dürfte gelten: Die Laufkundschaft wird nicht zu ersetzen sein, aber das Geschäft geht weiter. Ich möchte nicht, dass diese kleinen Läden pleite gehen, und Andere sehen das offenbar genauso. Ob es reicht, was wir tun, werden wir sehen. Wir unterstützen auf jeden Fall weiterhin unsere lokalen Unternehmen. Nächste Woche bekommen wir wieder unsere Gemüsebox, direkt vom Bauern.

Nebenan wird gelacht, während ich mein Bier von Novel Brewing austrinke. Caro und ihre ehemaligen Kollegen verstehen sich auch per Videokonferenz bestens. Auch in Selbstisolation muss man nicht auf Sozialkontakte verzichten. Man muss nur kreativ werden—so wie C.

Welt aus den Fugen – Die Corona-Tagebücher

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Liebe Leser, in den letzten vier Wochen ist so viel passiert, ich weiß gar nicht, wo ich anfangen soll. Die Welt ist aus den Fugen geraten. Wir alle leben in ungewissen Zeiten.

Da wäre natürlich zuerst die COVID-19 Pandemie. Rückblickend ist es schwer vorstellbar, dass wir vor 4 Wochen dachten, der Virus würde sich auf China beschränken. Vor drei Wochen, am letzten Februarwochenende, waren C und ich mit ihren Arbeitskollegen von Blue Bear noch in Jackson Hole Skifahren. An Gesichtsmasken, Abstand halten, oder ständig Hände waschen war da noch keine Rede. Jetzt haben wir nicht nur eine weltweite Pandemie, sondern auch eine Wirtschaftskrise zu bewältigen. Bei Square wird seit 3 Wochen von zu Hause gearbeitet. Erst war es eine starke Empfehlung, seit zwei Wochen ist sie verpflichtend. Rückblickend bin ich stolz, dass meine Firma, so wie viele andere im Silicon Valley, schnell reagiert hat—vor allem, da die amerikanische Regierung jegliche Führung in der Krise vermissen lässt.

Kaum waren wir aus Jackson Hole zurück, ist dann Cs Vater verstorben. Auch wenn es ihm schon lange nicht gut ging, ist der Tod des eigenes Vaters (und Schwiegervaters) natürlich ein schwerer Verlust. Am Donnerstagmorgen haben wir die traurige Nachricht erhalten, abends saßen wir schon im Flugzeug nach Deutschland. Für viele Freunde in Deutschland schwer vorstellbar: Ich habe ohne Probleme frei bekommen. “Nimm Dir die Zeit, die Du brauchst und sei für Deine Frau da”, meinte mein Chef. In meiner Email an mein Team schrieb ich unter anderem: “Ich hoffe, sie lassen mich wieder rein, in die USA”. Damals konnte ich nur ahnen, wie sich die COVID-19 Situation entwickeln würde.

Insgesamt waren wir 12 Tage in Berlin. Zum Trauern blieb wenig Zeit. Während wir von Erledigung zu Erledigung hetzten, eine Trauerfeier organisierten und sie wieder absagten und uns um Cs Mutter kümmerten, spitzte sich die Lage in Europa zu. Die Neuinfektionen schossen exponentiell in die Höhe. Plötzlich war von “flattening the curve” die Rede. Dann kam der Travel Ban für Europäer—keine Einreise mehr in die USA. Zum Glück gab es eine Ausnahme für Staatsbürger und Permanent-Residents, also Green-Card-Inhaber wie uns. Während sich Gott und die Welt in die Flugzeuge stürzte, um nach Hause in die USA zu kommen, warteten wir ab. Wir waren einfach noch nicht fertig in Berlin. Dennoch spitzte sich die Lage weiter zu. Das Pflegeheim, in dem Cs Mutter wohnt wurde abgeriegelt, die Ämter schlossen nach und nach. An eine öffentliche Trauerfeier war plötzlich nicht mehr zu denken. Wir mussten uns damit auseinandersetzen, wie wir nach Hause kommen. Denn mehrere Monate in Deutschland feststecken, ohne Krankenversicherung, wollten wir auch nicht—vor allem während bei Square mittlerweile aufgrund der Rezession alle Ampeln auf rot schalteten.

Wir behielten also einen kühlen Kopf, buchten unseren Flug um und flogen am Mittwoch, den 18. März wieder nach Kalifornien. In der Maschine waren nur gut 75 Passagiere—sie hatte Platz für 250. In San Francisco wurden wir dann in Gruppen zu 20 aus der Maschine gebeten, befragt und darauf aufmerksam gemacht, dass wir uns für 14 Tage zu Hause isolieren sollen. Es gab keine Schlangen und keine Panik. Die Selbstisolierung zu Hause (shelter in place) galt mittlerweile für Alle, denn Kalifornien hatte längst den Notstand ausgerufen und eine Ausgangssperre für die Bay Area verhängt. Wir dürfen unser Haus verlassen, um einzukaufen, den Arzt aufzusuchen oder spazieren zu gehen. Viel mehr geht nicht.

Und wie ist die Lage in den USA? In Deutschland herrscht offenkundig die Meinung, dass wir viel besser vorbereitet seien, als die Amis. Die Trump-Regierung und insbesondere der Präsident seien überfordert, heißt es. Da ist etwas dran. Es wird eindeutig zu wenig getestet in den USA. Trump spielte die Gefahr des Virus zuerst herunter und log dann, dass sich die Balken biegen. Aber die USA sind ein föderaler Staat und es gibt eine Eigenschaft der Amerikaner, die ihnen in dieser Zeit zu Gute kommt: ihr Hang zur Selbstständigkeit. Während Trump also noch versuchte, die Gefahr herunterzuspielen, handelten Gouverneure, Firmen und Einzelne.

Anders als in Berlin, wo COVID-19 im Alltag noch nicht angekommen war, halten die Menschen in Kalifornien sich an die Ausgangssperre. Man organisiert sich in der Nachbarschaft, geht füreinander einkaufen und trifft sich auf der Straße—natürlich mit 2m Sicherheitsabstand. Bei Berkeley Bowl werden jetzt nur noch 50 Personen gleichzeitig in den Supermarkt gelassen. Es gibt Desinfektionsmittel und Handschuhe am Eingang, nicht nur wir trugen Masken beim Einkaufen. Das Angebot im Supermarkt ist wie immer—nur der Reis ist weggehamstert. Ich habe das Gefühl, wir sind hier weiter als in Berlin. Wenn wir noch nicht infiziert sind, erscheint die Gefahr, COVID-19 zu bekommen jetzt niedriger als in Berlin.

Dennoch ist es unstrittig, dass das amerikanische Gesundheitssystem auf eine harte Probe gestellt werden wird. Dazu kommt, dass es die ersten Entlassungen gibt. Nicht nur der Umsatz von Square leidet darunter, dass Geschäfte und Restaurants schließen mussten. In einer Gesellschaft, wo der Arbeitgeber die Krankenversicherung zahlt, ist eine Pandemie dieses Ausmaßes zusammen mit einer Rezession der Super GAU. Zum Glück bringen Nancy Pelosi und das von Demokraten geführte Repräsentantenhaus jetzt Gesetzesentwürfe ein, die bezahlte Krankheitstage, kostenlose COVID-19 Tests und Unterstützung für Arbeitslose garantieren. Dennoch ist klar: es wird bitter. Vor allem die Trump-Wähler wird es schwer treffen. Viele sind immer noch der Meinung, es handele sich bei COVID-19 um ein Komplott, eine Erfindung, um Trump aus dem Amt zu jagen. Ich bin gespannt, wie diese Situation sich in den nächsten Monaten entwickeln wird. Dabei ist klar, Trumps Chancen auf eine Wiederwahl schwinden–je schlimmer die Rezession, desto mehr sinken sie.

Die Welt ist aus den Fugen geraten. Von heute auf morgen befinden wir uns in einer Situation, die selbst unsere Eltern und Großeltern noch nicht erlebt haben. Es wird an uns liegen sie zu meisten.