Obwohl ich den Wecker auf 5 Uhr gestellt hatte, war ich bereits um 4.30 Uhr wach. Heute war der große Tag. Der Tag, von dem die Glücksritter in Silicon Valley träumen, der Tag an dem meine Firma, Square, an die Börse gehen würde.
Um 6:30 Uhr stand ich zusammen mit Hunderten meiner Kollegen in unserem Restaurant im 9. Stock und beobachtete auf den Bildschirmen gebannt, wie Jack Dorseys Mutter der allerersten Square-Kundin vor der Börse in New York einen Blumenstrauß abkaufte – und damit symbolisch den Handel der Square Aktie mit dem Zeichen SQ freigab. Mrs Dorsey bezahlte natürlich per Apple Pay mit unserem neuesten NFC Kartenlesegerät. Applaus und Jubel brandeten auf, aber der niedrige Ausgabepreis der Aktie hatte die Stimmung ganz offensichtlich getrübt.
Bei $16 lag der Preis der Aktie bei der letzten privaten Kapitalerhöhung, mit einer Untergrenze von $11 waren wir in die Roadshow gegangen, um Investoren für unseren Börsengang zu gewinnen und bei $9 lag der Ausgabepreis. Damit hatte sich der Firmenwert innerhalb von wenigen Tagen beinahe halbiert. Das war natürlich ein harter Schlag für die Mitarbeiter, denn schließlich sind wir alle Teilhaber von Square. Die Schockwellen, die unser Börsengang in Silicon Valley verbreitete waren nicht zu übersehen. Eine Firma nach der anderen wurde abgewertet. Zuerst traf es Zenefits, dann Dropbox, dann Snapchat und es ging immer so weiter. Die Presse ließ keine Gelegenheit aus, um den Square Börsengang als Flop zu bezeichnen – unsere Zahlen, unser Chef, sogar unser ganzes Geschäftsmodel wurden in Frage gestellt. Sicher, die Situation war unangenehm, aber wie haben sich die Mitarbeiter in den anderen Firmen wohl gefühlt? Wir hatten es immerhin geschafft, der Börsengang stand kurz bevor. Andere standen erstmal vor geplatzten Träumen. Ich finde, es sagt schon viel über Square aus, dass unser Börsengang so einen Einfluss auf das Geschäftsklima des gesamten Silicon Valley hatte.
Im Hauptquartier von Square wurde langsam Champagner ausgeschenkt. Kollegen beglückwünschten sich. Aber was nun? Niemand wusste so recht, was jetzt geschehen würde. Zwei erstaunlich steife Moderatoren erklärten im Fernsehen, dass es jetzt eine Weile dauern würde, man sich auf den tatsächlichen Ausgabepreis einigen würde. Für die Banker von Goldman Sachs und Morgan Stanley war der Preis von $9 pro Aktie ein Schnäppchen. Sie hatten nichts und rein gar nichts zur Entwicklung der Firma beigetragen, würden aber in den ersten Minuten des Börsenganges Millionen verdienen. Und so kam es dann auch. Die Aktie startete mit $11,20, 20% über dem festgelegten Ausgabepreis. Und es ging noch weiter nach oben. Bis $14,78 kletterte die Aktie innerhalb einer halben Stunde, bis die Banker anfingen, ihre Gewinne mitzunehmen. 60% Gewinn innerhalb von 30 Minuten – nicht schlecht für eine Aktie, die angeblich keiner haben wollte. Ganz ehrlich: Für $9 hätte ich auch gekauft.
Vor fast vier Jahren hatte unser Kalifornien-Abenteuer begonnen. Damals hätte ich nicht im Traum daran gedacht, dass ich jemals den Börsengang (m)eines Startups hautnah miterleben würde. Jetzt war ich mittendrin und verwundert über die Nüchternheit meiner Kollegen. Niemand machte Stimmung, es wurde nicht ausgelassen gefeiert. Ich hatte fast den Eindruck, dass die meisten nicht so richtig fassen konnte, was sich hier abspielte. Also taten meine Kollegen das, was sie am besten konnten: Sie gingen an ihre Computer und fingen an zu arbeiten. Es dauerte bis zum Abend, bis sich der harte Kern meines Teams im Biergarten um die Ecke auf ein paar Maß Andechser Hellers trafen und auf Square anstießen. Für die Presse war unser Börsengang plötzlich ein voller Erfolg, ein Model für jüngere Technologiefirmen in San Francisco. Und der Kurs? Die Aktie schloss bei $13.07. Und morgen geht es weiter.