Die zweite Schicht

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Wir geben unsere Unterlagen ab, gehen Mittagessen und treten danach die zweite Schicht an, diesmal in einer wesentlich besseren Gegend. Wir klingeln, die Tür geht auf und eine dicke, spärlich bekleidete Frau gegrüßt uns. Sie ist begeistert, dass wir für Hillary um die Häuser ziehen und fällt uns sofort um den Hals. Sie riecht nach Whisky, ist offensichtlich ziemlich betrunken und ihre linke Brust ist mehrfach kurz davor aus dem Kleid zu fallen. Wir plaudern etwas, verabschieden uns freundlich und ziehen weiter. Wieder eine mehr für Hillary. In der Regel sind es Frauen, die uns freundlich begrüßen und das Gespräch suchen, während Männer eher ablehnend sind. Ein junger Mann sucht offen den Konflikt, als er uns anblafft, er habe das Ziel im Leben niemals wählen zu gehen. Warum auch, um diese Hillary zur Präsidentin zu machen? Welchen Sinn habe das schon? C blafft zurück er könne ja auch die erste Latina in den Senat wählen, aber es hat keinen Sinn zu diskutieren. Idiot.

An der nächsten Tür macht eine Latina auf. Sie stimme für Trump stellt sie klar, nur um dann laut zu lachen – wahrscheinlich weil uns in diesem Moment die Gesichtszüge vollständig entglitten sind. Nein, natürlich sei sie für Hillary und habe nur einen Spaß gemacht, versichert sie uns. Gerade diese Latinos, von Trump als Vergewaltiger und Kriminelle beschimpft, sind ausnahmslos freundlich und offen – einfach gute Menschen. Und ich habe das Gefühl sie sinnen auf Rache. “Wo kann ich wählen und wann? Ich muss am Dienstag arbeiten.”, fragt sie uns. Wir klären sie auf wo das Wahllokal zu finden ist und, dass sie das Recht hat, 1-3h bezahlt von der Arbeit fern zu bleiben, um wählen zu gehen. “Du musst nur am Montag gleich deinem Chef Bescheid sagen”, erklären wir. Sie lächelt und verabschiedet sich. Als die Tür zu ist, hören wir sie drinnen rufen, “Hey, wusstet Ihr, dass wir 3h frei machen können, um wählen zu gehen? Bezahlt?” Das ist der Moment des Tages. Wir fühlen uns gut. Auch wenn wir nur eine Handvoll fremder Menschen davon überzeugt haben wählen zu gehen, es ist das erste Mal, dass wir das überhaupt von uns behaupten können. Wir haben einen Unterschied gemacht. Hoffentlich reicht es.

Ein paar Häuser weiter hält ein Pizzalieferant neben uns an und sucht das Gespräch. Er, Ende 40 mit grauen Haaren, findet es super, dass wir die Leute auffordern wählen zu gehen. “Das ist die Sternstunde der USA, so viele Menschen wie dieses Jahr haben ewig nicht gewählt”, erklärt er uns. “Für wen seid Ihr denn? Hillary? Na gut, ich habe für den anderen Typen gewählt, aber das ist ja auch egal.” Überhaupt sei es Zeit, dass die Wunden heilten und das Land wieder zusammen wachse. “Ihr macht gute Arbeit, weiter so”, ruft er uns zu bevor er sich anschickt, die nächste Pizza auszuliefern. Wir sind baff und beeindruckt. Diese Attitüde spiegelt so gar nicht die Härte des Wahlkampfes zwischen Trump und Hillary wieder, die Beleidigungen, den Hass. Vielleicht gibt es doch noch Hoffnung für die USA.

Wir treffen Farshid und Nikhil. Sie hatten auch ihren ganz eigenen Moment des Tages. “Eine alte Frau hat uns doch glatt gefragt, ob Hillary nicht bereits gewonnen habe. Sie war verwundert darüber, dass die Wahl noch nicht vorbei sei.”, erklärt Farshid mit tränenden Augen. Wir lachen. Es ist 18 Uhr und wir sind müde. Auf dem Weg zurück zum Hauptquartier kommen wir am Flughafen vorbei. Dort steht Trumps Privatflugzeug, eine Boeing 757. Die Polizei schickt sich an, die Straße abzusperren. Trump wird am Abend eine Rede in Reno halten. Er kommt zu spät, denke ich. Die Briefwahl ist vorüber und wir haben bereits den ganzen Ort abgegrast. Hoffentlich ein gutes Omen für die Wahl.